Die Hundezucht Initiative

Für eine zukunftsfähige Hundezucht in Deutschland

Wettbewerb als Chance: Wie die FCI durch flexible Zuchtziele ihre Zukunft sichern kann

Abstract

In Zeiten sinkender Registrierungen und wachsender Beliebtheit von Mischlingen steht die Rassehundezucht vor einer tiefen Krise: Veraltete Standards der FCI passen nicht mehr zu den Bedürfnissen moderner Hundehalter. Dieser Artikel analysiert die Ursachen – von starren nationalen Monopolen bis hin zu innovationshemmenden Strukturen – und fordert eine grundlegende Reform: Das Aufbrechen des Ursprungsland-Monopols, die Zulassung mehrerer wettbewerbsorientierter Zuchtverbände pro Rasse und die Anwendung wissenschaftlicher Methoden wie dem Nischenkonzept, um Zuchtziele an reale Bedürfnisse der Hundehalter anzupassen. So könnte die FCI Vielfalt fördern und die Zukunft der Rassen sichern – ein Plädoyer für mehr Wettbewerb innerhalb der FCI als Motor für gesündere, besser angepasste Hunde.

Die Vertrauenskrise der Rassehundezucht

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: In Deutschland sind mittlerweile 42 Prozent aller Hunde Mischlinge – Tendenz steigend. Während der Anteil der Mischlinge stetig wächst, ist nur noch etwa ein Viertel der Rassehunde beim VDH, dem Vertreter der FCI, registriert. Noch vor wenigen Jahrzehnten dominierten die Rassehunde des VDH klar das Bild, heute hat sich das Verhältnis dramatisch verschoben. Was sich hier in nüchternen Statistiken ausdrückt, ist nichts weniger als eine fundamentale Vertrauenskrise. Immer mehr Welpenkäufer wenden sich von der etablierten Rassehundezucht ab und entscheiden sich für Mischlinge oder Designer-Hunde. Der Grund liegt nicht in einer generellen Ablehnung reinrassiger Tiere, sondern in der wachsenden Diskrepanz zwischen dem, was die traditionelle Rassehundezucht anbietet, und dem, was moderne Hundehalter tatsächlich suchen.

Die Bedürfnisse heutiger Hundebesitzer haben sich fundamental gewandelt. Während früher spezifische Arbeitsleistungen im Vordergrund standen – der Jagdhund für die Jagd, der Hütehund für die Schafherde – suchen heute die meisten Menschen einen alltagstauglichen Begleiter. Viele wünschen sich einen Hund, der sich problemlos in das Familienleben integriert, der kinderfreundlich ist, der sie bei Freizeitaktivitäten begleiten kann und der vor allem eines mitbringt: ein ausgeglichenes, freundliches Wesen. Dabei spielt das Aussehen durchaus eine wichtige Rolle – aber nicht im Sinne heutiger Rassestandards. Manche Käufer wünschen sich einen niedlichen Hund mit Kindchenschema, andere bevorzugen ein sportlich-elegantes Erscheinungsbild. Die Ästhetik ist wichtig, aber sie muss auf die Wünsche der Hundebesitzer abgestimmt sein und nicht auf veraltete Rassestandards – mit Funktionalität, Gesundheit, Aussehen und Wesenseigenschaften als gleichwertigen Merkmalskomplexen.

Doch genau hier versagt das aktuelle System. Die Rassestandards wurden oft vor über hundert Jahren für völlig andere Lebenswelten entwickelt. Zwar werden die ideale Schulterhöhe festgelegt, die gewünschte Winkelung der Hinterhand definiert oder die zulässigen Farbschläge limitiert, aber dies geschieht ohne Berücksichtigung der Käuferwünsche. Die Standards legen zwar einen Idealtyp fest, aber dieser kann vom Idealtyp der Hundebesitzer meilenweit entfernt sein.

Diese Fehlausrichtung hat fatale Folgen. Viele Rassen wurden über Jahrzehnte in eine Richtung selektiert, die einem abstrakten Schönheitsideal entspricht, aber weder die ästhetischen Vorlieben der Käufer trifft noch ihre praktischen Bedürfnisse berücksichtigt. Das Ergebnis: Welpenkäufer, die in der starren Rassehundezucht nicht finden, was sie suchen, greifen zum Mischling oder lassen sich einen „Doodle“ zusammenmixen, in der Hoffnung, dort die gewünschte Kombination aus Aussehen und Wesen zu finden.

Das versteinerte System: Wie historische Strukturen Innovation verhindern

Die Wurzel des Problems liegt tief in den Strukturen der internationalen Hundezucht verankert. Die Fédération Cynologique Internationale (FCI), 1911 als Dachverband nationaler Hundezuchtverbände gegründet, operiert noch heute nach Prinzipien, die eher in diese Zeit als ins 21. Jahrhundert passen. Das zentrale Dogma lautet: Jede Hunderasse „gehört“ einem bestimmten Land – ihrem Ursprungsland. Nur dieses Land hat das Recht, den Rassestandard zu definieren und zu ändern. Alle anderen müssen sich fügen.

Was einst als Schutz der rassespezifischen Eigenarten gedacht war, hat sich zu einer Innovationsbremse entwickelt. Ein Beispiel: Der Deutsche Schäferhund „gehört“ Deutschland, genauer gesagt dem Verein für Deutsche Schäferhunde. Möchten niederländische, amerikanische oder australische Züchter den Fokus stärker auf Familientauglichkeit statt auf Schutzhundeignung legen, oder möchten sie eine andere Hinterhandwinkelung bevorzugen, haben sie kein Mitspracherecht. Sie müssen sich an einen Standard halten, der möglicherweise für ihre Käufer völlig unpassend ist.

Diese starre Hierarchie – FCI definiert, nationale Verbände setzen um, lokale Zuchtvereine exekutieren – lässt keinen Raum für Anpassung an tatsächliche Bedürfnisse oder sich wandelnde gesellschaftliche Anforderungen. Die FCI-Statuten sind eindeutig: Mitglieder müssen „die FCI-Rassestandards sowie die Rassennomenklatur der FCI anerkennen“ (Art. 8.3.h). Eine Abweichung ist nicht vorgesehen, Innovation nicht erwünscht.

Verschärft wird das Problem durch die Tatsache, dass Änderungen an Rassestandards einem bürokratischen Marathonlauf gleichen. Selbst wenn das Ursprungsland eine Anpassung für sinnvoll hält, muss diese durch verschiedene Kommissionen, wird oft jahrelang diskutiert und am Ende häufig so verwässert, dass von der ursprünglichen Reformidee kaum etwas übrig bleibt.

Das System perpetuiert sich selbst: Richter werden nach den bestehenden Standards ausgebildet, bewerten nach diesen Kriterien und prägen damit die nächste Generation von Züchtern. Wer ausschert, wer neue Wege gehen möchte, findet sich schnell außerhalb des etablierten Systems wieder. Seine Hunde mögen bei ihren Besitzern beliebt sein, auf Ausstellungen haben sie keine Chance. Und ohne Ausstellungserfolge keine Anerkennung in der Zuchtszene – ein Teufelskreis, der Innovation im Keim erstickt.

Wissenschaft trifft Tradition: Was valide Zuchtziele ausmacht

Die moderne Tierzuchtforschung hat längst Methoden entwickelt, um Zuchtziele wissenschaftlich zu validieren. Der Schlüssel liegt im sogenannten Nischenkonzept, das Robin Wellmann und seine Kollegen 2023 ausführlich beschrieben haben (Wellmann et al., 2023). Eine zentrale Erkenntnis: Ein Zuchtziel ist dann valide, wenn die Selektion in diese Richtung die Eignung der Rasse für ihre zukünftigen Aufgaben verbessert. Klingt selbstverständlich? Ist es aber nicht, denn die meisten aktuellen Zuchtziele wurden nie daraufhin überprüft, ob sie tatsächlich zu Hunden führen, die besser an die Bedürfnisse ihrer Halter angepasst sind.

Das Nischenkonzept geht davon aus, dass jede Hunderasse eine ökologische Nische besetzt – einen Lebensraum, in dem sie gedeiht und ihre Population wächst. Diese Nische wird nicht durch geografische Grenzen definiert, sondern durch die Bedürfnisse und Wünsche der Menschen, die sich für diese Rasse entscheiden. Ein Zuchtziel ist nur dann valide, wenn es die Anpassung der Rasse an genau diese Nische verbessert.

Traditionell wurde in der Nutztierzucht mit Profitfunktionen gearbeitet: Mehr Milch, mehr Fleisch, mehr Eier bedeuteten mehr Gewinn. Bei Begleithunden greift diese simple Gleichung nicht. Wellmann schlägt daher vor, die Profitfunktion durch eine „Adaptedness“ Funktion zu ersetzen. Diese misst nicht monetären Gewinn, sondern die Zufriedenheit der Hundehalter mit ihren Tieren. Faktoren wie emotionale Bindung, Alltagstauglichkeit und Gesundheit fließen hier gleichberechtigt ein.

Entscheidend ist auch die Unterscheidung zwischen langfristigen und kurzfristigen Zuchtzielen. Das langfristige Zuchtziel definiert den optimalen Zustand – beispielsweise einen familienfreundlichen, gesunden, mittelgroßen Hund mit pflegeleichtem Fell. Das kurzfristige Zuchtziel berücksichtigt, wo die Population aktuell steht und welche Merkmale priorisiert werden müssen. Der „Desired Gain Approach“ ermöglicht es, für jedes Merkmal den gewünschten Zuchtfortschritt zu definieren und daraus Selektionsindizes abzuleiten.

Diese wissenschaftlichen Methoden sind keine bloße Theorie – sie werden in der Nutztierzucht seit Jahrzehnten erfolgreich angewendet. Nur in der Hundezucht ignoriert man sie weitgehend. Stattdessen verlässt man sich auf das subjektive Urteil einzelner Richter und auf Standards, die nie systematisch validiert wurden. Die Folge: Während moderne Milchkühe tatsächlich immer besser an ihre Aufgabe angepasst sind, entwickeln sich manche Hunderassen in eine Richtung, die sie für ihre wichtigste Aufgabe – das Leben als Begleithund – immer weniger geeignet macht.

Der Weg aus der Sackgasse: Wettbewerb statt Monopol

Die Lösung liegt nicht in der Abschaffung von Rassestandards, sondern in ihrer Flexibilisierung. Die FCI sollte ihre Rolle neu definieren: Statt detaillierte Vorgaben zu machen, sollte sie sich darauf beschränken, die Rasseidentität zu wahren. Ja, ein Deutscher Schäferhund sollte auch in Zukunft als solcher erkennbar sein. Aber warum sollte es nicht verschiedene Zuchtrichtungen geben dürfen, die unterschiedliche Aspekte betonen?

Das Monopol der Ursprungsländer muss fallen. Stattdessen sollten mehrere internationale Rassezuchtverbände pro Rasse möglich sein, die miteinander im Wettbewerb stehen. Ein Verband könnte sich auf die traditionelle Arbeitsleistung konzentrieren, ein anderer auf Familientauglichkeit, ein dritter auf Therapiehundeeignung. Jeder Verband würde seine eigene Interpretation des Rassestandards entwickeln – innerhalb des von der FCI gesetzten Rahmens, der die Erkennbarkeit der Rasse sicherstellt.

Käufer hätten dann eine echte Wahl. Sie könnten sich gezielt für Welpen aus Zuchtlinien entscheiden, die ihren Bedürfnissen entsprechen. Die Verbände wiederum stünden im Wettbewerb um Käufer und Züchter. Wessen Zuchtziele die Bedürfnisse der Käufer besser treffen, wird wachsen. Wer an den Bedürfnissen vorbei züchtet, wird schrumpfen. Ein evolutionärer Prozess, der automatisch zu valideren Zuchtzielen führt.

Kritiker mögen einwenden, dies führe zu einem Wildwuchs und zur Auflösung der Rassen. Das Gegenteil ist der Fall. Durch die Spezialisierung würden die Rassen für ihre jeweiligen Käufergruppen attraktiver. Die genetische Basis bliebe erhalten, ja würde sogar breiter, da die gegenseitige Anerkennung von Abstammungsnachweisen zwischen den Verbänden gewährleistet sein muss. Ein Züchter könnte einen Rüden aus einer arbeitsorientierten Linie nutzen, um bestimmte Eigenschaften in seine familienorientierte Zucht einzubringen.

Internationale Kooperation statt nationaler Abschottung wäre die Devise. Ein Zuchtverband für familienorientierte Labradore könnte Züchter aus Deutschland, Frankreich, den USA und Australien vereinen. Sie alle arbeiten am gleichen Zuchtziel, tauschen Zuchttiere aus und profitieren voneinander. Die künstlichen nationalen Grenzen, die heute den Genfluss behindern, würden fallen.

Ein solches Wettbewerbsmodell würde somit drei entscheidende Vorteile bringen:

  • Eine echte Wahl für Hundehalter, die sich gezielt für eine Zuchtlinie entscheiden können, die ihren Bedürfnissen entspricht.
  • Die Bewahrung der genetische Vielfalt durch die internationale Kooperation und den Austausch von Zuchttieren über Verbandsgrenzen hinweg.
  • Eine positive Weiterentwicklung der Rassen, da diejenigen Zuchtziele gefördert werden, die sich in der Praxis bewähren und zu gesünderen und besser angepassten Hunden führen.

Von der Theorie zur Praxis: Implementierung der Reform

Eine solche fundamentale Umstrukturierung kann nicht über Nacht erfolgen. Der Übergang vom Monopolsystem zum Wettbewerbsmodell erfordert Fingerspitzengefühl und eine schrittweise Herangehensweise. Als ersten Schritt könnte die FCI Pilotprojekte mit ausgewählten Rassen initiieren – idealerweise mit solchen, bei denen die Probleme besonders offensichtlich sind und der Leidensdruck bei Züchtern und Käufern hoch ist.

Diese Pilotprojekte würden wissenschaftlich begleitet. Universitäten mit tierzüchterischen Instituten könnten die Entwicklung verschiedener Zuchtrichtungen monitoren, Käuferbefragungen durchführen und die Validität der verschiedenen Zuchtziele evaluieren. Die Methoden dafür existieren – sie müssen nur angewandt werden. Discrete-Choice-Experimente können präzise erfassen, welche Eigenschaften Käufern wichtig sind. Langzeitstudien können dokumentieren, ob die in eine bestimmte Richtung selektierten Hunde tatsächlich zufriedenere Besitzer haben.

Qualitätssicherung bliebe wichtig, würde aber neu definiert. Statt starrer Standards gäbe es Mindestanforderungen, die die Rasseidentität wahren. Darüber hinaus hätte jeder Zuchtverband Freiheiten. Gesundheitsuntersuchungen und Verhaltenstests würden nicht abgeschafft, sondern ausgebaut – aber mit Fokus auf die für die jeweilige Zuchtrichtung relevanten Aspekte. Ein auf Therapiearbeit spezialisierter Zuchtverband würde andere Verhaltensmerkmale testen als einer, der sich auf Hundesport konzentriert.

Die größte Herausforderung liegt vermutlich im Umdenken der etablierten Zuchtszene. Viele Züchter und Funktionäre haben ihr Leben lang in den bestehenden Strukturen gearbeitet und sich darin eingerichtet. Sie zu überzeugen, dass Veränderung nicht Bedrohung, sondern Chance bedeutet, wird Zeit und Geduld erfordern. Hier könnten die Pilotprojekte als Leuchtturm fungieren: Wenn die ersten Rassen zeigen, dass das neue System zu gesünderen, besser angepassten Hunden und zufriedeneren Käufern führt, wird der Widerstand bröckeln.

Die Zukunft der Rassehundezucht: Vielfalt in der Einheit

Die Vision ist klar: Eine Hundezucht, die das Beste aus beiden Welten vereint. Die Vorteile der Reinzucht – Vorhersagbarkeit, Erhalt wertvoller Eigenschaften, professionelle Zuchtlenkung – bleiben erhalten. Gleichzeitig gewinnt das System die Flexibilität, sich an wandelnde gesellschaftliche Bedürfnisse anzupassen. Züchter müssten sich nicht mehr zwischen Ausstellungserfolg und Käuferwünschen entscheiden – beides wäre vereinbar.

Der Mehrwert für Welpenkäufer wäre enorm. Sie erhielten nicht nur einen Rassehund, sondern einen Rassehund aus einer Zuchtlinie, die gezielt auf ihre Bedürfnisse hin selektiert wurde. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Welpe sich zu einem Hund entwickelt, der die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllt, stiege deutlich. Das würde das Vertrauen in die Rassehundezucht zurückbringen und den Trend zur Mischlingszucht umkehren.

Am Ende geht es um eine neue Balance. Die Tradition der Rassehundezucht mit ihrer reichen Geschichte und ihrem kulturellen Erbe muss nicht über Bord geworfen werden. Aber sie muss sich öffnen für wissenschaftliche Erkenntnisse und gesellschaftliche Realitäten. Die FCI-Monopole aufzubrechen ist kein Akt der Zerstörung, sondern der Befreiung. Es gibt den Rassen die Chance, sich weiterzuentwickeln und ihre Relevanz für kommende Generationen von Hundehaltern zu bewahren. Denn eines ist sicher: Eine Hundezucht, die an den Bedürfnissen ihrer Kunden vorbei züchtet, hat keine Zukunft. Eine Hundezucht aber, die Tradition mit Innovation verbindet, die wissenschaftliche Methoden nutzt und verschiedene Wege zulässt, kann auch im 21. Jahrhundert florieren. Die Zeit für diese Reform ist jetzt.

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